Wie lange?

Ich blicke ins Land. Auf dem Weissenstein liegt Schnee. Hier unten: warm. Auf einem blauen Schild: Biberist. Ortsteil: Schöngrün. Daneben ein Betonbau. Rote Mauer. Schallschutzglas vor den Fenstern. Stacheldrahtrolle über dem Zaun.

Seit Juni 2019 besuche ich gemeinsam mit Lisa Schwab und Annalisa Hartmann Männer im Untersuchungsgefängnis (UG) Solothurn. Wir bauen im engen Austausch mit der Besuchsgruppe im Bässlergut eine weitere Gruppe auf. Abgesehen von den Menschen, die hier kurze Freiheitsstrafen verbüssen oder in Untersuchungshaft sitzen, leben maximal zehn Personen in Ausschaffungshaft im UG Solothurn. Der Gefängnisbau ist eng. Kleiner Besuchsraum. Ein Spazierhof fehlt. Den Menschen in Haft dürfen wir nur Geld und Kleider abgeben. Das Telefonsystem rechnet über den normalen Tarif der Swisscom ab. Anrufe, vor allem ins Ausland, sind sehr teuer. Mangels fehlender Internetverbindung sind sie neben dem Schreiben von Briefen, die einzige Chance Kontakt aufzunehmen mit Freund*innen und Familienangehörigen, mit der Aussenwelt überhaupt. Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter empfiehlt in einem Bericht von 2015, vor allem wegen dem Mangel an Bewegungsmöglichkeiten, die Ausschaffungshaft an einem anderen Ort zu vollziehen.Frustrierend war für uns ist zu Beginn der Kontakt zum Migrationsamt. Wir warteten Wochen auf die Zustellung der Akten. Nach einem längeren Telefonat und der Klärung, was das Ziel unserer Besuche und unserer Unterstützung ist, sind die Mitarbeitenden nun sehr freundlich zu uns und wir erhalten die Akten innerhalb von wenigen Tagen.

Auch frustrierend ist, dass der Kan-ton Solothurn während der Corona-Krise, trotz den annullierten Flügen, jeden Fall einzeln prüft. Wir müssen Haftentlassungsgesuche stellen. Die beiden Basel, heben die nun unvollziehbare Ausschaffungshaft, in vielen Fällen, von Amtes wegen auf und lassen die Menschen frei. Sie folgen der Empfehlung der Europäischen Kommission für Menschenrechte. In Solothurn wollen wir einen Mann, der nach Tunesien ausgeschafft werden soll, mit einem Haftentlassungsgesuch aus dem Gefängnis herausholen. Wir haben beantragt – unser Gesucht wurde abgelehnt. Das Haftgericht wollte nicht.

Auf dem Heimweg im Intercity fühle ich mich oft ohnmächtig, nutzlos und wütend. Wie lange haben wir den Mut, uns immer wieder einzusetzen? Wie lange noch, bis die Schweiz mit dem Ausschaffen aufhört und die wenigen Flüchtenden, die es überhaupt in unser Land schaffen, menschenwürdig behandelt? Trotz viel Frust freuen wir uns über die kleinen Erfolge:
An einem Sonntagnachmittag im Besuchsraum treffen wir auf Albain* und Olena*. Ihr halbjähriger Sohn döst in einer Babyschale, die auf dem gelben Boden steht. Am kommenden Mittwoch wollen sie Albain nach Portugal ausschaffen, obwohl die beiden auf einen Trauungstermin beim Zivilstandesamt in Delémont warten, bei dem sie alle nötigen Papiere hinterlegt haben. Wenn sie heiraten, erhält Albain eine Aufenthaltsbewilligung und kann legal in der Schweiz leben. Am Tag darauf, am Montag, erfahren wir, dass man im Migrationsamt zwar schon lange von der Hochzeit weiss, jedoch auf die formelle Bestätigung vom Zivilstandesamt wartet, bevor man sich um irgend etwas kümmert. Am Dienstag händigt das Zivilstandesamt nach langen Diskussionen Olena die Bestätigung aus. Sie bringt sie persönlich zum Migrationsamt nach Solothurn. Und am Mittwochvormittag, Stunden vor der Ausschaffung, entlassen die Behörden Albain aus dem Gefängnis.

Die Zeitbombe einer Ausschaffung ticken lassen, obwohl man weiss, dass eine Hochzeit bevorsteht? Zürich Flughafen. Granges. Bässlergut. Schöngrün?

Schön … grün.

*Namen geändert.

Weitere Infos und Texte im Jahresbericht 2019 des Solinetz Basel.